Wir sind mittlerweile im Hafen von Nieuwpoort (Belgien) angekommen. Aus dem Radio klingt gerade „Lambada“ gefolgt von “ Sunshine Reggae“ und der Käpt’n läuft, recht verschwitzt, leicht bekleidet und nur in Unterhose an Bord umher. Auf den ersten Blick könnte dieses einen herrlich entspannten Tag dokumentieren. Könnte.
Doch ein zweiter Blick offenbart dem aufmerksamen Beobachter die tatsächliche Situation und lässt ihn dreimal kräftig schlucken: der Schrank in der Küche, hinter dem sich die Ventile der Wasserversorgung und diejenigen zum Fäkalientank befinden, ist geöffnet. Dazu sind auch das Fach BB 6, in dem sich Rohrreiniger, Filter und Co befinden, sowie das Fach Stb 5 und Stb 7 geöffnet, in denen üblicherweise unter anderem Werkzeug und eine lange Metallspirale gelagert werden. Das Werkzeug liegt verteilt im Badezimmer, die Metallspirale lugt, scheinbar aberwitzig – und wenn man genau hinhört, meint man sie vor Freude über ihren Einsatz kichern zu hören, hinter dem Türspalt des Badezimmers hervor und spätestens jetzt ahnt auch der bis hierhin arglose Leser, was die Stunde geschlagen hat: Der Käpt’n ist gerade nicht in seiner Funktion als Käpt’n sondern als Bordmechaniker, respektive als Fachmann für Sanitärtechnik, tätig. Sch…..! Ja, richtig. So darf man das jetzt wohl mit Fug und Recht ausdrücken.
Es fing ganz harmlos an. Nach einem späten Frühstück haben wir einen gründlichen „Haus“-Putz vorgenommen, Staub gewischt, alles gesaugt und gewischt und das Bad gereinigt. Hin und wieder, und da unterscheidet sich das Leben an Bord doch deutlich von dem in einem Haus, muss bei der Reinigung des Badezimmers auch der Abfluss des WCs eine kleine Sonderbehandlung erhalten. Wir haben ein komplett mechanisch funktionierendes WC, eine Baby Blake, auf die der Käpt’n ziemlich stolz und von deren uneingeschränkter Funktionalität er vollständig überzeugt ist. Man bekommt auch nach Jahrzehnten für diesen Thron noch Ersatzteile und in Ermangelung von elektrischer Technik kann diese auch nicht kaputt gehen. Die hin und wieder erforderliche Sonderbehandlung besteht darin, einige Dichtungen auszuwechseln und die Schlauchleitungen von Ablagerungen zu befreien.
Gesagt, getan. Schlauchfrei rein, kurz einwirken lassen, abpumpen und fertig. Abpumpen? Moment. Geht nicht. Geht nicht??? Die Augen des Käpt’n weiten sich als hätte er den Klabautermann persönlich vor sich stehen und schon wird klar, was passiert ist. Die Abflussrohre sind aufgrund des sich dort durch das Pulver gelösten Harnsteins verstopft. Rien ne va plus – nichts geht mehr und es handelt sich hier leider nicht um ein Spiel.
So erklärt sich also das an Bord herrschende Chaos aus geöffneten Schapps, herumliegendem Werkzeug und die Schweißperlen auf der Stirn des Käptns alias Sanitärfachmanns.
Die Spirale bringt leider nicht den erhofften Erfolg. Der Fachmann für Sanitärtechnik, aka Käpt’n, zuckt mit den Schultern, krempelt gedanklich die aufgrund des bereits freien Oberkörpers nicht vorhandenen Ärmel hoch und kommentiert die Angelegenheit wie folgt:“ Ich habe keine Angst vor der Arbeit – nur vor der Schweinerei.“ „Ja, ich weiß“, denkt die Verfasserin dieses Textes und weiß genau, was nun unabwendbar folgen wird, folgen muss: das Öffnen der Schlauchverbindungen zwischen WC und den Ventilen im Küchenschrank.
Der Fachmann für Sanitärtechnik begibt sich an den Ventilschrank, dreht das Ventil zum Fäkalientank und ein dumpfes Knacken sowie die nun regungslose Position des Sanitärtechnikers lassen nichts Gutes erahnen. Der Ventilhebel zum Fäkalientank ist abgebrochen. Schulterzucken. Na ja; das kann man ja ersetzen…
Vorrangig soll es nun aber der Verstopfung an den Kragen gehen. Das Klopfen gegen die Rohre wie auch verzweifelte weitere Pumpversuche bringen nicht den gewünschten Erfolg. Nach einer halben Stunde wird entschieden, dass der Abflussschlauch geöffnet werden muss. Zu dumm nur, dass aufgrund der vorherigen Pumpaktionen nun ein gehöriger Druck auf der Leitung ist… In der Haut des Sanitärfachmanns möchte nun keiner der Leser stecken und auch die Jungs an Bord wie auch die Verfasserin verhalten sich nun noch ruhiger als bis eben schon. Totstellen und gleichzeitig aufmerksam in Erwartung eines vom Käpt’n erteilten Arbeitsauftrages sein, ist nun die angebrachte Überlebensstrategie, die stoisch verfolgt wird. Jetzt bloß keine falsche Bemerkung, keine unbedachte Bewegung, nicht einmal eine falsche Mimik an den Tag legen, um den Käpt’n, der offensichtlich genauso wie das Abflusssystem unter Hochdruck steht, nicht zum Platzen zu bringen.
Der Sanitärfachmann greift entschlossen zur Rohrzange, zuckt noch einmal mit den Schultern, von denen mittlerweile der Schweiß in kleinen Rinnsälen herunterläuft, und öffnet mit einem kurzen kräftigen Rechtsruck die im Küchenschrank befindliche Verbindung von Schlauch und Ventil. Es knallt einmal kräftig, dann hört es sich an wie ein Regen aus Sand und Wasser und der Fachmann für Sanitärtechnik stößt ein kurzes „ÄHHHH!“ aus. Die zwei Stunden zuvor auf Hochglanz polierte Pantry ist bis auf eine Höhe von 1,00 m gesprenkelt mit einem Gemisch aus Flüssigkeit und kleinen bis größeren Steinen.
Mittlerweile läuft im Radio „Let it go“ und es fällt der Verfasserin des Textes schwer, in dieser Situation nicht zu lachen. Realsatire pur.
Die Jungs wagen, neugierig durch den Knall und das „ÄHHHHH!“ des Käptns einen vorsichtigen Blick in die Pantry und stellen fest, dass die Steinchen optisch an Katzengold erinnern. Kurzfristige Überlegungen, diese Steine doch als Glückssteine und Amulette im Hafen zur Aufbesserung der Bordkasse zu veräußern, werden von ihnen jedoch sofort verworfen als Kehrblech, Handfeger, Wischeimer und Wischlappen in Sicht kommen. Sie geben sich sogleich anderweitig beschäftigt und trollen sich unverzüglich in ihre Koje und entkommen damit um Haaresbreite einem unfreiwilligen Ferienjob.
Der Blick in das Gesicht des Sanitärfachmanns lässt, wer hätte das in dieser Situation für möglich gehalten, eine deutliche Entspannung erkennen. Dessen Druckausgleich scheint zeitgleich mit dem des Abflusssystems stattgefunden zu haben, denn er stellt zufrieden fest, dass nun das Schlimmste geschafft sei.
Mit dem Schraubendreher wird nun noch einmal ein ganzes Kehrblech voll Schmutz aus Schlauch und Ventil entfernt und dann macht sich der Sanitärfachmann zufrieden daran, das System wieder ordnungsgemäß zu montieren. Es wird noch 30 x mit warmem Wasser und Frischwasser nachgespült, die Schellen auf Dichtigkeit überprüft und dann kann alles auch schon wieder geputzt werden. Es schließt sich ein erneuter „Haus“-Putz an, was sich ein wenig anfühlt wie „Täglich grüßt das Murmeltier”.
Der Käpt’n stellt abschließend fest, dass es ohnehin mal Zeit war, die Rohre richtig zu reinigen und dass der Zeitpunkt heute eigentlich sogar richtig günstig war: heute ist eh nicht so schönes Wetter als dass man hätte zum Strand gehen können. Außerdem ist es doch gut, dass es im Hafen zu dem Vorfall gekommen ist und nicht auf See. Es hätte auch schlimmer kommen können; immerhin sind hier im Hafen Duschen und sie sind sogar geöffnet. Ende gut, alles gut. Und so bewahrheitet sich einmal mehr, was so viele Langfahrtsegler immer wieder behaupten:
Man segelt nicht nur um die Welt, man repariert sich auch um die Welt.
Nachdem der Käpt’n strahlend verkündet „in Bad und WC ist wieder alles ok“ erlaubt sich die Verfasserin, sich wieder in Sicherheit wähnend, das Wort zu ergreifen: “Schatz, du bist einfach großartig, wie du das handwerklich alles so meisterst. Und herzlichen Dank dafür, dass ich in die gesamte Aktion, bis auf ein paar Mal Pumpen, nicht involviert wurde sondern währenddessen kaffeetrinkend diesen Artikel schreiben und heimlich die Fotos von dem Malheur machen durfte. Ich habe nur eine kurze Frage: „Dürfte ich das System jetzt mal kurz auf Funktionalität testen? Ich müsste nämlich mal kurz Kaffee wegbringen.“
;-* “
Gerade eben läuft im Radio „Oh, happy day” von The Edwin Hawkins Singers. Kopfschüttelnd in Anbetracht der Situation stehen wir da, gucken uns an und müssen lachen. Humor ist eben, wenn man trotzdem lacht.